Frankreich treibt Strompreis hoch und vernachlässigt womöglich Sicherheit des AKW Cattenom

Von | 14.02.2022

Vorbemerkung:
Die französische Atomstromversorgung ist im Moment höchst prekär auf historischem Tiefstand.(IWR.de 07.01.2022) Im Fall einer Kältewelle könnten in Frankreich sogar Stromabschaltungen drohen, wenn nicht genug europäischer Windstrom zugekauft werden kann, so der französische Netzbetreiber RTE (Réseau de Transport d’ Electricité).

Es ist zu befürchten, dass deswegen die AKW Sicherheit der Stromproduktion untergeordnet wird.

European Green Deal? Leider doch nur Greenwashing!

2019 hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen vollmundig den EUROPEAN GREEN DEAL verkündet, ein Programm zur mittelfristigen Reduktion der CO2-Emissionen in der EU. Bestandteil davon ist die Taxonomie-Verordnung 2020/852 über die Erleichterung nachhaltiger Investitionen, die Investor:innen Kriterien für die Bestimmung nachhaltiger Finanzprodukte an die Hand geben soll. Im Juni 2021 wurden in einer delegierten Verordnung (2021/2139) allgemeine technische Bewertungskriterien festgelegt. Danach tüftelte die Kommission an einer weiteren delegierten Verordnung, von der sich bald herum sprach, dass darin Atomenergie und Erdgas als nachhaltig klassifiziert werden sollten!

Da dies auf erheblichen Widerspruch stieß, wurde der Beschluss immer wieder hinausgeschoben …bis zur Silvesternacht 2021, als zwei Stunden vor Mitternacht die Katze aus dem Sack gelassen wurde.
Da reiben sich sogar die Expert:innen, die sich die EU Kommission selbst als Berater:innen ausgesucht hat, die Augen. „57 weltweit führende Nachhaltigkeitsexpert:innen der Finanzwirtschaft, Vertreter:innen der Industrie und Umweltgruppen sollten gemeinsam Regeln finden für Geldanlagen, die sich grün und nachhaltig nennen dürfen.“ (Tagesschau.de 24.01.2022) Diese Expert:innen kritisieren jetzt scharf, dass durch den Kommissionsentwurf, Atom- und Gaskraftwerke ein grünes Label bekommen und „eine nachhaltige Taxonomie untergraben wird.“ (ebenda)

Diese absurde Einstufung soll vor allem die französische Atomindustrie, die dringend frisches Geld benötigt, stützen und der deutschen Regierung, die den ausgebremsten Ausbau der Erneuerbaren Energien mit Gaskraftwerken abfedern und endlich Nordstream 2 in Betrieb nehmen will, entgegenkommen.

Entsprechend verhalten sind die Stellungnahmen der Bundesregierung. Die Regierungen von Österreich und Luxemburg kündigen stattdessen Klagen an, sollte von der Leyens Taxonomie-Verordnung in Kraft treten (dpa 02.02.2022).

Frankreich: abhängig von Atomstrom (70%)

Frankreichs Präsident Macron behauptet in seiner unnachahmlich jugendlich-dynamischen Art voller Überzeugungskraft Monströses:

Atomkraft sei klimafreundlich, gewähre Versorgungssicherheit und sei billig.

Das stellt die Wahrheit auf den Kopf, tatsächlich ist die Faktenlage ganz anders:

Klimafreundlich?
Die Gewinnung von Uran findet in entlegenen Gegenden der Welt auf Kosten der radioaktiven Verseuchung von Mensch und Umwelt statt. Dieses Uranprodukt (Yellow cake) muss klimaschädlich über Tausende von Kilometern transportiert werden. Bis zum Endprodukt ‚Brennelement für AKW‘ werden Zwischenprodukte noch mehrfach klimaschädlich quer durch Europa gekarrt. Der Betrieb von AKWs stößt kaum CO2 aus, dafür werden beim Bau von AKW tonnenweise klimaschädlicher Beton und Stahl verbaut. Die meisten der gegenwärtig 56 Reaktoren in Frankreich sind am Ende ihrer Lebenszeit angekommen und erhöhen dadurch das Risiko einer Nuklearkatastrophe. Am einzigen Neubau, ERP Reaktor in Flamanville, wird seit 15 Jahren gebaut, die Kosten haben sich vervierfacht!
Klimafreundlich kann man Strom nur mit erneuerbaren Energien produzieren, während Atomstrom die umweltschädlichste Art der Stromerzeugung ist – mit hochradioaktivem Atommüll für 1 Million Jahre.

Versorgungssicherheit?
Die Mängel in den unter Kostendruck gewarteten AKW nehmen zu, so dass immer häufiger Reaktoren vom Netz genommen werden müssen. Der Betreiber EDF (Electricité de France) hatte darüber hinaus über Jahre die Installation von ineffizienten Stromdirektheizungen propagiert, so dass besonders im Winter die Nachfrage nach Strom extrem hoch ist. Im November 2021 waren zwölf von 56 Reaktoren außer Betrieb, die EDF musste auf Teufel komm raus Strom importieren, während Deutschland dank seiner Windenergie einen Exportüberschuss von drei Milliarden Kilowattstunden bilanzierte. Insgesamt hat Frankreich im Jahr 2021 aus Deutschland Strom für fast eine Milliarde Euro importiert. (Quelle: sonnenseite.com) Seit Januar 2022 sind insgesamt 14 Reaktoren wegen regulärer Revision, notwendiger Betriebs- und Unterhaltsarbeiten oder wegen Korrosionsmängeln vom Netz genommen werden, es fehlen gegenwärtig etwa 25% der Atomstromkapazität. Französische Kohlekraftwerke müssen aushelfen! (srf.ch/news 12.01.2022).

Billig?
Die EDF ist ein Staatskonzern, der zwar hoch verschuldet ist, aber immer auf Geld des französischen Steuerzahlers zugreifen kann. Insofern war der Strompreis in Frankreich immer schon politisch und nicht wirtschaftlich kalkuliert. Mit den starken Stromimporten diesen Winter hat die EDF allerdings nicht nur in Frankreich – aktuell der teuerste Börsenstrompreis in ganz Europa – sondern auch in Deutschland den Preis an den Strombörsen hochgetrieben. Präsident Macron hat jetzt im Rahmen eines „Maßnahmenpakets“ der EDF auf Euro und Cent vorgeschrieben, wie hoch der Strompreis auch für die Abgabe an innerfranzösische Konkurrent:innen sein darf und dass es im Laufe des Jahres 2022 nur eine maximal 4%ige Preiserhöhung für Stromkund:innen geben darf. Um annähernd kostendeckend zu sein, müsste der Strompreis nach den Berechnungen der Regierung eigentlich um 45% steigen.

Warum stellt Macron Behauptungen auf, die die Grenze zur Lüge überschritten haben?

  1. Er will im März als Präsident wiedergewählt werden und der französischen Öffentlichkeit eine heile Atomkraftwelt vorgaukeln. Mit hohen Strompreisen würde natürlich auch die Akzeptanz für Atomkraft sinken.
  2. Er baut auf eine EU Taxonomie-Verordnung, die nicht nur EU-Gelder und Investor:innen für neue Reaktortypen ermöglicht (Zauberwort: SMR – Small Modular Reactors, die bedauerlicherweise aber überhaupt erst erdacht und entwickelt müssen, um eventuell in 20 Jahren das Klima zu ‚retten‘).
    Macron geht es auch darum, mit Rückendeckung der EU durch immense Steuermittel unverantwortliche Laufzeitverlängerungen der alternden AKW zu finanzieren und die EDF zu stützen, die ohnehin schon unter hohem Kostendruck wegen ihrer vielen Probleme steht: Schuldenstand, Stromimporte, Reaktorabschaltungen und Mängelbehebung, Dauerbaustelle AKW Flamanville, Atommüll – und jetzt noch von Macron extrem gedeckelter Strompreis.
  3. Das penetrante Festhalten der französischen Regierung am Dinosaurier Atomkraftwerke hängt mit ihrem militärischen Atomkomplex zusammen. Es braucht eine zivile Atomstromproduktion um die erforderlichen Fachkräfte, das Know how und das Plutonium für die militärische Seite zu gewinnen.

Atomkraft ist vor allem gefährlich. Und die Gefahr ist akut!

Die fünf vor kurzem wegen neu entdeckter Korrosionen an Rohren eines Sicherheitssystems zur Notkühlung des (radioaktiven) Primärkreislaufs abgeschalteten AKWs belasten nicht nur die Stromversorgung in Frankreich. Sie betreffen ausgerechnet die ‚jüngsten‘ (d. h. auch schon mehr als 20 Jahre alten) französischen AKW. Die Hoffnung, dass es ‚nur‘ um die Reaktoren mit 1450 MW Leistung geht (Civaux 1 u. 2, Chooz B1 und B2) hat sich nicht erfüllt. Auch Penly 1, ein 1300 MW Reaktor, weist die gleichen Spannungsrisse auf.

Die 4 Blöcke des AKW Cattenom gehören zur P‘4 Baureihe der 1300 MW Reaktoren und haben die gleiche technische Auslegung wie Penly 1.

Die luxemburgische Umweltministerin Carole Dieschbourg und der Energieminister Claude Turmes haben kürzlich eine Anfrage an die französische Atom-Aufsichtsbehörde ASN gerichtet und Aufklärung verlangt! Das AKW Cattenom steht gegenwärtig nämlich voll unter Dampf!

Wir fordern die Landesregierung Rheinland-Pfalz und die Bundesregierung auf, ebenfalls bei den französischen Behörden zu klären, ob die entsprechenden Rohrsysteme der vier Reaktoren von Cattenom geprüft worden sind bzw. falls nein ein sofortiges Herunterfahren und eine Prüfung zu verlangen.