Mein Name ist Steffi Richter. Ich bin eine einst an der Universität Leipzig tätige, und heute in Berlin lebende Japanologie-Professorin im UNRUHE-Stand. Diese Unruhe hat sehr viel auch mit der Dreifachkatastrophe im März 2011 zu tun. Das war ein Fanal, das mir die Augen öffnete: Nicht nur „Hiroshima ist überall“ – nein, auch „Fukushima ist überall“. Ich habe danach viel über diese beiden Sätze nachgedacht. Ist es nicht anmaßend, gar verharmlosend, sie zu Slogans unserer Protestaktionen zu erheben – bedenkt man das konkrete Leid der Opfer, der Betroffenen? So kompliziert es auch ist – meine Forschungsarbeiten haben mich zu dem Ergebnis geführt: Nein! Tatsächlich haben beide Losungen mit der realen Situation der gesamten Welt, der gesamten Menschheit seit dem Sommer 1945 zu tun – einer Situation, die der anti-atombewegte Philosoph Günter Anders (1902-1992) einst „atomare Situation“ nannte. Und leider bedrängt uns diese atomare Situation wieder einmal mehr denn je! Dazu zwei Überlegungen, eingebettet in einige konkrete Fakten bzw. News aus den Medien und von Freunden.
Vom eben erwähnten Günther Anders stammt übrigens die Vorstellung „Hiroshima ist überall“. So beginnt er z.B. sein 1959 erschienenes Hiroshima-Nagasaki-Tagebuch sehr eindringlich damit, dass seinen Lesern kein „Aroma des ‚Fernen Ostens‘“ bieten, sondern von einem „sehr nahen Osten“ berichten wird. Wenn ich jetzt also einige Worte zur aktuellen „atomaren Situation“ in Japan sage, dann ist das alles gleichfalls nicht „ganz weit weg“ von uns, sondern in all seiner Problematik: sehr nah!
Als sich der Super-Gau im AKW Fukushima Daiichi ereignete, gab es in Japan 54 Reaktoren an 17 Standorten; und es sollten noch mehr gebaut werden, mit dem Ziel, nicht nur 30% (wie bis dahin), sondern 50% des Energiebedarfs des Landes nuklearbasiert bereitstellen zu können. Im Sommer 2012 dann waren – als Folge des Unfalls – alle Reaktoren heruntergefahren: Null % Atomstrom. Dafür hatten nicht zuletzt auch landesweite große Demonstrationen gesorgt, auf denen lautstark bekundet wurde: „Genpatsu iranai!“ – „Weg mit den AKW!“. Drei Jahre später aber wurden die ersten Reaktoren wieder hochgefahren.
Der Stand heute: 14 Reaktoren an 8 Standorten sind wieder in Betrieb, für 11 weitere ist es geplant (darunter sogar 2 Neubauten) – mit dem Staats- und Regierungs-Ziel, im Jahr 2030 etwa 20% des Energiebedarfs nuklearbasiert zu decken; angeblich des Mangels anderer Ressourcen wegen, und: aus Klimaschutzgründen! Atomstrom sei ja so grün…
Noch einmal möchte ich Günter Anders zitieren: Denn er hat die Bezeichnung „Kernreaktoren“ einst als irreführende Verharmlosung entlarvt und sie stattdessen „nukleare Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin“ genannt. Damit verwies er zum einen auf die Gefährlichkeit der angeblich sicheren, „beherrschbaren guten Atomenergie“. Zugleich ist das aber auch ein Fingerzeig auf den untrennbaren Zusammenhang der AKW mit der Atombombe – dem „bösen“ siamesischen Zwilling. Denn mit dem Plutonium, das bei der Produktion von Atomstrom anfällt, wurde immer und wird auch heute die Möglichkeit der Herstellung von Atombomben am Laufen gehalten. Auch in Japan. Das befand und befindet sich als sogenannter „Juniorpartner“ der USA unter deren atomaren Schirm, und auch hier haben rechtskonservative Eliten bis heute ein militärisches Interesse daran, die Produktion von waffenfähigem Uran und Plutonium zu industrialisieren, um im quantitativen atomaren Wettrüsten zu obsiegen. Das hat mit dazu geführt, dass – so das wissenschaftsbasierte Fazit eines befreundeten Ökonomen – „Japan vor nuklearen Brenn- und radioaktiven Reststoffen förmlich überquillt.“ Zehntausende Tonnen an separiertem Plutonium, tausende Tonnen an zwischengelagerten abgenutzten Brennstäben – die von ihm errechneten Zahlen und erstellten Grafiken übersteigen unsere Vorstellungskraft.
Hinzu kommt, dass Japan von der „Lösung“ (was immer das auch heißen möge) der Frage der Endlagerung noch viel weiter entfernt ist als etwa die BRD. Und wie wir wissen, quellen auch in der AKW-Ruine Fukushima Daiichi die Tanks über, gefüllt mit 1,33 Mio. Kubikmeter radioaktivem Kühlwasser. Dieses angeblich bis zur Unbedenklichkeit aufbereitete Kühlwasser wird seit August 2023 in den Pazifik abgeleitet.
Das alles klingt sehr, sehr düster.
Zum Glück aber bin ich in meinen Forschungen immer wieder auch auf lokal und transnational agierende mutige Menschen gestoßen, die sich in „Grassroot-Bewegungen“, in bürgerwissenschaftlichen Gruppen und ähnlichem zusammengeschlossen haben. Mit all ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten kämpfen sie gegen den „Atomstaat“ (wie Robert Jungk ihn einst so treffend beschrieben hat). David gegen Goliath, wahrlich! Sie gab es von Beginn an, seit 1955 in Japan an Plänen zum Bau von AKW gearbeitet wurde. Noch einmal Fakten: 1957 wurde der erste Forschungsreaktor hochgefahren, 1966 ging der erste Reaktor zur kommerziellen Stromerzeugung ans Netz; es folgte die AKW-„Hoch-Zeit“ der 1970er/1980er, bis zur eingangs genannten Zahl 54 Reaktoren an 17 Standorten.
Zur Wahrheit gehört aber auch das: Eine japanische Wissenschaftlerin hat 2013 in einer Studie gezeigt, dass an 50 (!) Standorten die Pläne für den Bau eines AKW vereitelt werden konnten; rechnet man die Pläne für den Bau von Wiederaufbereitungsanlagen hinzu, dann sogar an 64 Orten; und an 80 Orten, wenn man noch die Suche nach Endlagerplätzen hinzufügt. Verhinderung dieser Pläne aufgrund von Protest- und Aufklärungsbewegungen.
Aktuell verfolge ich die Aktionen von lokalen Gruppen, die es bislang verhindern konnten, dass das größte AKW der Welt – das AKW Kashiwazaki-Kariwa am Japanischen Meer (Präfektur Niigata) – nach seiner Abschaltung 2011 wieder hochgefahren wird. Mit einer Gruppe, die diesbezüglich unermüdliche Aufklärungsarbeit leistet, stehe ich in Verbindung. Wer von Ihnen hier einmal einen ganz konkreten Einblick in die unermüdlichen Aktivitäten der Bürgergruppe Nachdenken über Leben und Umwelt durch Filme in der Stadt Murakami am Japanischen Meer bekommen möchte, der werfe gern einen Blick in einen Bericht über die Gruppe. Er ist enthalten in unserem 2024 erschienenen Band
„Gespalten. Das Nukleare Nachkriegs-Japan“
Und der ist als Open Access frei abrufbar: https://repository.crossasia.org/receive/crossasia_mods_00000323
https://repository.crossasia.org/receive/crossasia_mods_00000340 (Anja Hopf: Friedliche Nutzung von Atomkraft und Bürgerwissenschaft vor Ort: Visualisierung des Nuklearen. Die Bürgergruppe Eizō no kai in Murakami
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.