Leserbrief zum Thema Cattenom und dem Verhältnis zwischen Atompolitik und Militär

Von | 19.05.2021

Update: Der Leserbrief wurde inzwischen (leicht gekürzt) am 22.05.2021 in der Zeitung Trierischer Volksfreund veröffentlicht.

Uns hat ein Leserbrief von Herrn Norbert Bogerts aus Welschbillig erreicht, den er an den Trierischen Volksfreund geschickt hat. Wir möchten diesen Leserbrief mit der freundlichen Genehmigung von Herrn Bogerts gerne ungekürzt hier auf unserer Webseite veröffentlichen:

Dankenswerter Weise berichtete der TV mehrfach über das AKW Cattenom. In seinem Artikel vom 11.5.21 zitiert er auch französische Befürworter der kommerziellen Atomenergienutzung:

Atomstrom sei billig für die Verbraucher und gut für die Umwelt; ein Versorgungsengpass solle vermieden werden. Die Stilllegung von Atomkraftwerken führe nur dazu, dass der dadurch bedingte Ausfall der Stromproduktion durch Kohle- und Gaskraftwerke kompensiert werden müsste. Laut TV zeige dies auch, wie ein nicht unerheblicher Teil der Franzosen zur Atomkraft stehe und warum Forderungen von deutscher und luxemburgischer Seite, Cattenom endlich abzustellen, in Frankreich keinen Widerhall fänden.

Dass pro-Cattenom-Argumente vorgeschobene sind, belegt der vom TV zitierte Bericht der Untersuchung des Aachener Energie-Beratungsunternehmens Consentec: „Versorgungssicherheitsbelange“ stünden einer Stilllegung des Kernkraft­werks Cattenom nicht im Wege.

Was sind also die Hauptgründe für die französische Atompolitik?

Hier ist zunächst zu erwähnen, dass Frankreich – im Gegensatz zu Deutschland – nur wenig Kohlevorkommen hat, aber insbesondere für seine Schwerindustrie zum Wiederaufbau in der Nachkriegszeit einen enormen Bedarf an Primärenergieträgern hatte.

Ein wichtigerer Grund – und der wird so gut wie nie erwähnt – ist jedoch seine militärische Atomnutzung: Die Force de frappe, 1958 während einer entscheidenden Phase des Kalten Krieges von Charles de Gaulle beschlossen, begründet die vorrangige Stellung Frankreichs in der internationalen Politik mit, die es nach französischer Sicht auch in Zukunft abzusichern gilt. So wird nachvollziehbar, dass für den Weiterbetrieb der AKWs und für zahlreiche AKW-Neubauprojekte sowie die Entwicklung neuer Reaktoren handfeste militärische Interessen im Vordergrund stehen und dies nicht nur in Frankreich.

Es geht nämlich u. a. um die Ausbildung von Nuklearfachkräften – für die Atomstromproduktion einerseits und die Atomstreitkräfte andererseits. So ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass z. B. die britische Regierung bar jeder energiewirtschaftlichen Vernunft den Bau des teuersten Atomkraftwerks der Welt angezettelt hat: Hinkley Point C.

Wer allerdings weiß, dass das Militär ansonsten nicht in der Lage wäre, die Atomreaktoren zu erneuern, die die nuklearen U-Boote und Flugzeugträger antreiben, dem erschließt sich die Logik: Die britische Fridays-for-Future-Generation wird noch bis zum Rentenalter mit ihrem Stromgeld das Atom-U-Boot-Programm quersubventionieren.

Nur aus Sicht der Militärs ist das ein guter Deal. Dies beweist auch eine gemeinsame Stellungnahme der Institution of Nuclear Engineers (INucE) und der British Nuclear Energy Society (BNES): „Die Frage der Überschneidung zwischen Zivilem und Militärischen kann in zwei Bereiche unterteilt werden: Waffen und Atom-U-Boot-Antrieb.“ Ein wichtiger Punkt, denn die Glaubwürdigkeit ihrer nuklearen Abschreckung, auf die nicht nur die Briten allergrößten Wert legen, steht und fällt mit dem nuklearen Antrieb ihrer mit Atomraketen bestückten U-Boote.

Die kleinen modularen Reaktoren, deren Heilsbringer-Geschichten derzeit wie Pilze aus dem Medien-Boden sprießen, liefern ebenfalls Anlass, einmal auf zivil-militärische Ambivalenz zu schauen.
Eine Stellungnahme des auf die Entwicklung von Flüssigsalzreaktoren spezialisierten US-Unternehmens TerraPower zur globalen nuklearen Führerschaft der USA zeigt die Motive: „Amerikas Verzicht auf kerntechnische Chancen im Ausland gefährdet auch seine nationale Sicherheit, indem es den Schwund der nuklearen Expertise und Qualifikation ermöglicht. Diese ist für den Erhalt von zweierlei erforderlich: seiner bestehenden AKW sowie seiner reaktorgetriebenen Marine.“ Ein Bericht der Atlantic-Council-Denkfabrik beziffert den Beitrag der zivilen US-Atomstrom-Industrie zur Kostenent­lastung des militärischen Nuklearkomplexes auf jährlich 42,4 Milliarden US-Dollar.

Militärische und zivile Anwendungen haben sich synergistisch entwickelt. Durchbrüche bei der zivilen Atomkraft kommen dem Militär zugute und militärische Durchbrüche kommen der zivilen Energieerzeugung zugute. Deshalb sind kleine, modulare Reaktoren vor allem fürs Militär interessant. Das nutzt sie seit Jahrzehnten als U-Boot-Antrieb – und träumt zum wiederholten Mal von mobilen Mini-AKWs. Diese sollen nicht nur Stützpunkte und Militärlager versorgen, sondern auch Strom für neuartige Waffen liefern.

Neben mobilen Schlachtfeld-Kraftwerken geht es vor allem um nukleare U-Boot-Antriebe und eine netzunabhängige Stromversorgung stationärer Militärstützpunkte. So hofft die US-Armee bereits in wenigen Jahren ein auf bestehender Reaktortechnik basierendes stationäres Mini-AKW testen zu können. Sie will damit Stützpunkte im In- und Ausland autarker versorgen, um gegen – auch durch Sabotage verursachte – Stromnetz-Ausfälle gewappnet zu sein. Nukleare U-Boot-Antriebe hingegen sind in der Logik der Militärs zwingend, um die weltweite Zweitschlagfähigkeit einer Atommacht zu sichern. Wirtschaftlichkeit spielt hier bekanntlich keine Rolle.

Wer also die immensen Risiken der kommerziellen wie der militärischen Atomenergie minimieren will, muss nicht nur die AKWs abschalten, sondern auch dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, der seit dem 22. Januar 2021 Völkerrecht ist. Das gilt besonders für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.

Norbert Bogerts, Welschbillig