Atommülllager ohne Beteiligung? – Offener Brief an die Bundesregierung und die Landesregierungen

Von | 10.05.2021

Mitten in der Großregion soll im französischen Bure ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen. 
Zahlreiche deutsche Umweltgruppen unterstützen einen offenen Brief der französischen Zivilgesellschaft, in dem gefordert wird, dass auch die Nachbarländer – also konkret Deutschland mit Baden Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, aber auch Luxemburg, Belgien und die Schweiz – informiert, angehört und öffentlich beteiligt werden.
Berufen wird sich auf die Übereinkommen von Aarhus und Espoo, die zu solche Beteiligungen völkerrechtlich verpflichten.

„Neben den erheblichen Risiken wie Explosionsgefahr, Grundwasserverseuchung, Transportunfälle und die Freisetzung von Radioaktivität in die Biosphäre, die damit einhergehen, hat das Endlager in Bure auch eine politische Funktion: es dient dem Weiterbetrieb der Atomanlagen – darunter dem durch viele Pannen und Störfälle bekannten Atomkomplex von Cattenom“, so Markus Pflüger vom Antiatomnetz Trier, das den Brief an die deutschen Regierungen in Zusammenarbeit mit den französischen Atomkraftgegnern initiiert hat.

Zum 35. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist durch zahlreiche Filme und Publikationen nochmal deutlich geworden, wieviel menschliches Leid durch Atomenergie dauerhaft verursacht wurde und wird –  zusätzlich zu den langfristigen Folgen.

Unter den 16 Umweltgruppen sind beispielsweise die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Rheinland-Pfalz-Saarland“, das „QuattroPax“  (Friedens- und Solidaritätsnetzwerk in der Großregion), die „Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg“, das „Bündnis für die „Sichere Verwahrung von Atommüll in Baden-Württemberg““, die „Bure-Solidaritäts-Gruppe Dreyeckland“, die „Mütter gegen Atomkraft“, das „Friedens-Netz“, „Greenpeace Saar“ sowie die „NaturFreunde Deutschlands“.

Die Bundes- und Landesregierungen werden aufgefordert, sich für die Beteiligung und Anhörung der Bundesländer einzusetzen, also nicht zu warten, ob Frankreich seine Verpflichtungen eventuell noch zu erfüllen gedenkt, sondern diese jetzt aktiv einzufordern.

Unterzeichner_innen:

Antiatomnetz Trier
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Rheinland-Pfalz-Saarland
QuattroPax – Friedens- und Solidaritätsnetzwerk in der Großregion
Bürgerinitiative Energiewende-Mainz
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Bündnis für die „Sichere Verwahrung von Atommüll in Baden-Württemberg“
Bure-Solidaritäts-Gruppe Dreyeckland
Die Mütter gegen Atomkraft e.V.
Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main
Friedens-Netz Saar
Greenpeace Saar
Mehr Demokratie e.V. Landesverband Rheinland-Pfalz
Reiner Aulenbacher Sprecher der Umweltgewerkschaft, Regionalgruppe Saar
Wolfenbütteler Atom(undKohle)AusstiegsGruppe (WAAG)
AKW-NEE-Gruppe Aachen
NaturFreunde Deutschland


Offener Brief zum Endlagerprojekt CIGEO in Bure/Lothringen wegen fehlender Beteiligung der Nachbarländer

5. Mai 2021

Sehr geehrte  
Frau Bundesumweltministerin Svenja Schulze,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Herr Umweltminister Franz Untersteller bzw. Nachfolger,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident Tobias Hans und Herr Umweltminister Reinhold Jost,
sehr geehrte  Frau 
Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Frau Umweltministerin Anne Spiegel,

mitten in der Großregion soll ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen. Wir unterstützen den offenen Brief der französischen Zivilgesellschaft und zahlreicher Umwelt- und Antiatomkraftinitiativen mit denen wir uns seit Jahrzehnten gegen das Endlagerprojekt Bure, inzwischen zu CIGEO umbenannt – engagieren. Diese fordern, dass auch die Nachbarländer informiert, angehört und öffentlich beteiligt werden, wozu die Übereinkommen von Aarhus als auch das Übereinkommen von Espoo völkerrechtlich verpflichten.

Neben den erheblichen Risiken wie Explosionsgefahr, Grundwasserverseuchung, Transportunfälle und die Freisetzung von Radioaktivität in die Biosphäre, die damit einhergehen, hat so ein Endlager auch eine politische Funktion: es dient dem Weiterbetrieb der Atomanlagen – darunter der durch viele Pannen und Störfälle bekannte Atomkomplex von Cattenom.
Während aktuell ein Fernsehfilm zeigte, wie Luxemburg durch einen Super-GAU von der Landkarte gewischt würde, zeigen sowohl die Serie Chernobyl als auch der Film „Tschernobyl“ anschaulich, wieviel menschliches Leid durch Atomenergie verursacht wurde und wird –  zusätzlich zu langfristigen Umweltzerstörungen und Verseuchungen.

Wir bitten Sie konkret sich – wie im Brief angesprochen – für die Beteiligung und Anhörung unserer Bundesländer einzusetzen, also nicht zu warten, ob Frankreich seine Verpflichtungen eventuell noch zu erfüllen gedenkt, sondern sie jetzt aktiv einzufordern.

Anbei der offene Brief im französischen Original sowie unsere deutsche Übersetzung.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Quaré und Markus Pflüger für das Antiatomnetz Trier
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Rheinland-Pfalz-Saarland
QuattroPax – Friedens- und Solidaritätsnetzwerk in der Großregion
Bürgerinitiative Energiewende-Mainz
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Bündnis für die „Sichere Verwahrung von Atommüll in Baden-Württemberg“
Bure-Solidaritäts-Gruppe Dreyeckland
Die Mütter gegen Atomkraft e.V.
Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main
Friedens-Netz Saar
Greenpeace Saar
Mehr Demokratie e.V. Landesverband Rheinland-Pfalz
Reiner Aulenbacher Sprecher der Umweltgewerkschaft, Regionalgruppe Saar
Wolfenbütteler Atom(undKohle)AusstiegsGruppe (WAAG)
AKW-NEE-Gruppe Aachen
NaturFreunde Deutschlands

Bure, den 11. März 2021

Brief an die politisch Verantwortlichen

Projekt Cigéo (Bure):
Die französischen Behörden müssen sich an die Übereinkommen von Aarhus und Espoo halten

Die französischen Behörden haben sich dafür entschieden, den gefährlichsten Atommüll in einem geologischen Tiefenlager zu lagern.

Das als nukleare Basiseinrichtung geplante Projekt Cigéo¹ wäre beispiellos in seiner Art: Die langlebige Radioaktivität der hoch- und mittelradioaktiven Abfälle, die dort gelagert werden sollen, entspräche 99,8 % der Gesamtradioaktivität aller Endabfälle aus der französischen Atomstromproduktion.

Seit 25 Jahren werden entsprechende Untersuchungen durchgeführt. 150 Jahre lang sollen in 500 m Tiefe 270 km lange Tunnel (also länger als die Tunnel der Pariser Metro) gegraben und entsprechend den Baufortschritten mit Atommüll befüllt werden. Dieser Müll, der Zehntausende Jahre lang gefährlich bleibt, würde dort endgelagert. Der Cigéo-Standort liegt im Nordosten Frankreichs in Bure im Departement Meuse. Das sind 220 km Luftlinie östlich von Paris und 180 km westlich von Straßburg. Weitere Entfernungen:

  • für Deutschland: 140 km von Saarbrücken, 190 km von Freiburg im Breisgau, 280 km von Stuttgart,
  • für Belgien: 120 km von Virton, 237 km von Lüttich, 270 km von Brüssel
  • für Luxemburg: 135 km von Luxemburg-Stadt,
  • für die Niederlande: 260 km von Maastricht,
  • für die Schweiz: 190 km von Basel und 235 km von Bern.

Seit Jahren warnen die unterzeichnenden Organisationen vor den Gefahren dieses Projekts, das aufgrund seiner kolossalen Größenordnung, seiner Kosten und seiner langfristigen Gefährlichkeit mit Fug und Recht als größtes „unnützes und aufgezwungenes Großprojekt“ Europas bezeichnet werden kann. Die einzigen drei Tiefenendlager dieser Art, die es weltweit bereits gibt, haben alle mit Problemen zu kämpfen, mit schweren Betriebsstörungen, Unfällen und Umweltschäden.

Heutzutage kann niemand mehr behaupten, dass radioaktive oder feinstaubbelastete Wolken an den Grenzen Halt machen würden oder dass für einen Zeitraum von 100.000 Jahren relevante politische Entscheidungen sich nur innerhalb der derzeitigen Grenzen Frankreichs auswirken würden.

Deshalb sind wir der Ansicht, dass alle unsere Nachbarländer von diesem Projekt ebenfalls betroffen sind. Gleichwohl wurden die Bewohner der angrenzenden Regionen unserer Nachbarländer niemals angehört, obwohl sie darauf Anspruch gehabt hätten.

Denn sowohl das Übereinkommen von Aarhus als auch das Übereinkommen von Espoo, denen auch alle vom Projekt Cigéo betroffenen Nachbarländer beigetreten sind, sehen eine Pflicht zur möglichst umfassenden und frühzeitigen Information und Beteiligung der Öffentlichkeit vor, damit sie sich aktiv am Entscheidungsprozess beteiligen kann: In Anhang I Ziffer 1 des Übereinkommens von Aarhus wird ausdrücklich die Lagerung von Kernbrennstoffen genannt, ebenso wie in der Anlage (Ziffer 3).

Da die französische Regierung ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen ganz offenkundig missachtet, wenden wir uns an Sie mit der Bitte,

  • die französische Regierung an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erinnern;
  • von Ihren Rechten Gebrauch zu machen und die französische Regierung zur Übermittlung VOLLUMFÄNGLICHER Informationen über das Projekt CIGEO an die Behörden und die Öffentlichkeit der europäischen Länder zu zwingen;
  •  zu verlangen, dass diese Informationen unverzüglich und nicht erst im weiteren Verlauf des Genehmigungsverfahrens übermittelt werden;
  •  falls dies nicht geschieht, den Ausschuss für die Durchführung der Espoo-Konvention und den Ausschuss zur Prüfung der Einhaltung der Bestimmungen der Aarhus-Konvention anzurufen.

So heißt es in Artikel 6 Absatz 4 der Aarhus-Konvention: „Jede Vertragspartei sorgt für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann.“

Die Espoo-Konvention sieht vor, dass den betroffenen Vertragsparteien „vor einer Entscheidung über die Genehmigung …, die voraussichtlich erhebliche nachteilige grenzüberschreitende Auswirkungen hat“, eine Umweltverträglichkeitsprüfung zur Verfügung gestellt wird (Artikel 2 der Espoo-Konvention). Absatz 6 enthält folgende Präzisierung: „Die Ursprungspartei gibt der Öffentlichkeit … in den voraussichtlich betroffenen Gebieten Gelegenheit, sich an den einschlägigen Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung in Bezug auf geplante Tätigkeiten zu beteiligen; sie stellt sicher, dass die der Öffentlichkeit der betroffenen Vertragspartei gegebene Gelegenheit der ihrer eigenen Öffentlichkeit entspricht“.

Ganz offensichtlich war bisher keine französische Regierung dazu bereit.

Vielmehr hat das Projekt jetzt eine neue entscheidende Stufe des Genehmigungsverfahrens erreicht, und zwar wurde die „Erklärung des öffentlichen Interesses“ beantragt.

Ebenso wie die Umweltbehörde bedauern die unterzeichnenden Organisationen, dass die diesem Antrag beigefügte und unter Verstoß gegen die UVP-Richtlinie 2011/92/EU nur der französischen Bevölkerung zugänglich gemachte Umweltverträglichkeitsprüfung in wesentlichen Punkten unzulänglich ist.

Wir hoffen, dass auch Ihnen die Wahrung des Rechts der Öffentlichkeit auf Information und Beteiligung am Herzen liegt, zumal es hier um ein bislang beispielloses Projekt von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unserer Grenzregionen geht.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Unterzeichner*: Arrêt Du Nucléaire, ATTAC France, la Confédération Paysanne, la Coordination Stop Cigéo, GlobalChance, Greenpeace France, la Fondation Danièle Mitterrand – France Libertés, France NatureEnvironnement, le Réseau Action Climat, le Réseau Sortir du Nucléaire, Solidaires, Sud Énergie, Sortir duNucléaire Paris.

*Alle diese Organisationen sind Mitglieder des Front Associatif et Syndical contre Cigéo (stop-cigeo@riseup.net). Der Coordination Stop Cigéo gehören folgende lokale Vereine an: Asodedra, Bure Stop 55, Bure Zone Libre, Cacendr,Cedra, Eodra, les Habitants Vigilants de Gondrecourt, Meuse Nature Environnement. Inzwischen wird der Brief der französischen Zivilgesellschaft auch von zahlreichen Gruppen in Deutschland unterstützt.

¹ AdÜ: Abkürzung für Centre industriel de stockage géologique = Industrielles Zentrum für geologische Tiefenlagerung.