Risse in französischen Atomreaktoren gefunden – auch Cattenom muss untersucht werden!

Von | 14.02.2022

Es folgt eine Übersetzung des Artikels unserer französischen Freund:innen von Sortir du Nucléaire

Generische Anomalie: Risse im Kern mehrerer Reaktoren

Civaux, Chooz, Penly : Korrosion und Gefahr von Rohrbrüchen – EDF schaltet einige Reaktoren ab und sucht nach Erklärungen für ein Phänomen, das EDF nicht durchschaut

Zunächst wurden die Risse in Block 1 des AKWs Civaux (Departement Vienne) bei Kontrollen im Rahmen der Zehnjahresinspektion entdeckt. Dann in Civaux 2, Chooz 2 (Ardennes) und Penly 1 (Manche). Solche Risse können zum Bruch der Rohre eines im Fall eines Unfalls wesentlichen Kreislaufs führen (Sicherheitsinjektionskreislauf, abgekürzt RIS), der direkt mit dem Primärkreislauf verbunden ist und die ständige Kühlung des nuklearen Brennstoffs ermöglicht. Ursache dieser Risse in der Nähe der Schweißnähte der Rohre ist die Korrosion unter Belastung, ein Phänomen, das nach den Studien von EDF nicht auftreten sollte. Die Reaktoren wurden für mehrere Monate abgeschaltet, ebenso Chooz 1, der derzeit überprüft wird. EDF muss nun alle Atomreaktoren in Frankreich kontrollieren, insgesamt 56.

Die Risse befinden sich im Sicherheitsinjektionskreislauf RIS, der dazu dient, im Fall eines Unfalls die nukleare Reaktion zu stoppen und den im Reaktorbehälter vorhandenen nuklearen Brennstoff zu kühlen. Über diesen Kreislauf kann Borwasser eingespritzt werden, ein saurer Stoff, der die nukleare Reaktion [2] dort stoppt, wo normalerweise ständig gekühlt wird, nämlich im Primärkreislauf [3]. Es handelt sich um einen Eckpfeiler des Betriebs eines Atomreaktors, der durch diese Risse erschüttert wird, da ein Atomreaktor nicht ohne Kühlung auskommen kann: Die durch die Kernspaltung erzeugte Energie (Hitze) muss abgeleitet werden, sonst drohen Überhitzung und Explosion. Deshalb müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit die Kühlung ständig und unter allen Umständen gewährleistet ist.

Bei Problemen oder Lecks des Primärkreislaufs muss der Sicherheitsinjektionskreislauf also diese Aufgabe übernehmen. Wie alle wichtigen Kreisläufe in einem Reaktor ist auch dieser redundant, d. h. es gibt zwei ähnliche und voneinander getrennte Leitungen. Jede dieser Leitungen ist an zwei verschiedenen Stellen mit dem Primärkreislauf verbunden, und zwar vor und nach dem Brennstoffbehälter, in dem die nukleare Reaktion abläuft. Ausgerechnet vor diesen Anschlüssen an den Primärkreislauf wurden an Rohrbögen diese Risse entdeckt. Diese Rohrbögen befinden sich vor dem Primärkreislauf, jedoch nach dem System, das das Schließen des RIS-Kreislaufs und dessen Isolierung vom Primärkreislauf ermöglicht. Würde dieser Rohrabschnitt brechen, so würde sich der Primärkreislauf selbst bei geschlossenem RIS-Kreislauf durch diesen Rohrabschnitt leeren. … (siehe Schema).

Schema-Zeichnung: Anschluss des Sicherheitsinjektionskreislaufs an den primären Kühlkreislauf eines AKW mit Kennzeichnung der rostigen Rohre (Quelle: IRSN)
Schema-Zeichnung: Anschluss des Sicherheitsinjektionskreislaufs an den primären Kühlkreislauf eines AKW mit Kennzeichnung der rostigen Rohre (Quelle: IRSN)

Ursache dieser Risse im Metall ist die Korrosion. Eine Korrosion unter Belastung, die auf das Zusammentreffen mehrerer Faktoren zurückzuführen ist: die Art des verwendeten Materials (Metall der Rohre), die aggressive Umgebung (die chemischen Produkte, die dort zirkulieren), physikalische (thermische und mechanische) Belastungen dieses Metalls. Den Betreibern ist dieses Korrosionsproblem ganz offensichtlich bewusst, denn es wird in den Entwurfsstudien berücksichtigt: Welches Metall ist zu verwenden, wenn es mit bestimmten chemischen Produkten in Kontakt kommen soll und welche Belastung hält es aus? EDF hat das alles geplant, die Rohre im Reaktorkern sollten halten, nicht rosten und auch bei Belastungen keine Risse bekommen.

EDF kann sich dieses Phänomen der Korrosion unter Belastung der RIS-Leitungen nicht erklären: Das war nicht vorgesehen, man hat keine Ahnung, worauf es zurückzuführen ist. Nur eins ist sicher, nämlich welche Folgen sich daraus ergeben: Wenn solche Risse auftreten, besteht die Gefahr von Rohrbrüchen. Die Atomreaktoren hätten dann keine Kühlung mehr. Die Gefahr ist noch höher, wenn beide Leitungsstränge des Sicherheitsinjektionskreislaufs betroffen sind: Der Primärkreislauf würde sich leeren, da die rissigen Abschnitte sich zwischen dem Anschluss an den Primärkreislauf und der Klappe befinden, die eine Trennung des RIS-Kreislaufs vom Primärkreislauf ermöglicht.

EDF hat deshalb den Reaktor°2 des AKWs Civaux nach Entdeckung der Risse am Reaktor 1 im Dezember 2021 abgeschaltet. Ferner wurden die Reaktoren 1 und 2 des AKWs Chooz abgeschaltet, die dieselbe Bauart aufweisen (1450 MW-Reaktoren, das sind die neuesten und leistungsstärksten der in Betrieb befindlichen AKWs in Frankreich). Dieselben Risse wurden in Chooz 2 entdeckt, Reaktor 1 wird noch überprüft. Dabei wurden diese beiden vor Kurzem eingehend überprüft, denn ihre Zehnjahresinspektionen mit ihrem umfangreichen Überprüfungsprogramm wurden erst im Jahr 2019 bzw. 2020 durchgeführt.

Hat EDF diese Kontrollen vorschriftsgemäß durchgeführt? Wurden die Ergebnisse hinreichend analysiert?

Mitte Januar dann der Donnerschlag: Einen Monat nach Bekanntgabe der Risse in Civaux: EDF teilt mit, dieselben Risse seien in Block 1 des AKWs Penly entdeckt worden, der seit Oktober 2021 wegen Zehnjahresinspektion abgeschaltet ist. Dieser Reaktor gehört zu einer anderen Baureihe als die in Chooz und Civaux. Das Problem mit den Rissen betrifft also nicht nur die 1450 MW-Reaktoren, sondern auch die 1300 MW-Reaktoren, die nicht mehr ganz so neu sind.

Insgesamt sind in ganz Frankreich 20 Reaktoren betroffen: 2 in Penly, 2 in Flamanville und 4 in Paluel (Normandie), 2 in Belleville (Centre- Val de Loire), 4 in Cattenom und 2 in Nogent (Grand Est), 2 in Golfech (Occitanie), 2 in Saint-Alban (Auvergne – Rhône Alpes). Die Blöcke 2 in Penly, 4 in Cattenom und die beiden Reaktoren in Golfech wurden praktisch seit fast 10 Jahren nicht mehr überprüft, ihre Zehnjahresinspektionen sollen demnächst stattfinden1. Bei den anderen 1300 MW-Reaktoren haben die eingehenden Überprüfungen bereits stattgefunden. Wie in Chooz wurden dabei aber keine Risse entdeckt.

Es stellt sich also dieselbe Frage: Wurde hinreichend überprüft? Wurden die Daten richtig analysiert? Wurden die Kontrollen durch die Pandemie beeinträchtigt?

Nach Entdeckung der Risse im Kern des Reaktors 1 in Penly hat EDF dieses generische Problem (das mehrere Reaktoren betrifft) der Atomaufsicht ASN als signifikantes Sicherheits-Vorkommnis gemeldet. In der Tat sind die möglichen Konsequenzen von besonderer Bedeutung und wirken sich erheblich auf die Vorkehrungen aus, die für den Fall eines Atomunfalls getroffen werden müssen. Da nicht nur ein Modell betroffen ist, müssen alle Atomreaktoren überprüft werden, auch die älteren (900 MW), deren 4. Zahnjahresinspektion ansteht (Dampierre, Chinon, Saint-Laurent).

Für die unmittelbare Zukunft hat EDF angekündigt, die Abschaltungen von Civaux 1 und 2, Chooz 1 und 2 und Penly 1 zu verlängern. Civaux 2 und Chooz 2 bleiben mindestens ein Jahr lang abgeschaltet und sollen nicht vor Dezember 2022 wieder in Betrieb gehen. Penly 1 bleibt bis Ende Mai abgeschaltet, Chooz 1 bis Juli, Civaux 1 bis August.

Das ist das Minimum, denn EDF kündigt bereits an, dass es auch länger dauern könnte: die rissigen Abschnitte müssen herausgeschnitten werden, es muss geprüft werden, ob noch andere Abschnitte betroffen sind, ein Reparaturplan erstellt werden, Ersatzteile hergestellt usw. …. und vor allem muss das Problem analysiert werden, damit nicht wieder dieselben Fehler unterlaufen …. EDF beherrscht den industriellen Prozess nicht vollständig, zahlreiche Fragen sind zu klären … Hinsichtlich der Wartungen und Überprüfungsprogramme gibt es auch viel zu tun:

Sind die Kontrollen eingehend und häufig genug? Werden sie richtig durchgeführt?

Vorläufig hat der Betreiber nicht vor, weitere Reaktoren präventiv abzuschalten, z. B. Penly 2 oder Cattenom 4, Golfech 1 und 2, deren Zehnjahresinspektionen fast 10 Jahre zurückliegen. Allerdings steht die Stromproduktion Anfang 2022 auch erheblich unter Druck: Während die Preise europaweit stark steigen, fallen immer mehr französische AKWs aus. Fast 20% der Reaktoren sind derzeit abgeschaltet, infolge der Kälte wird mehr Strom verbraucht. Die Verlängerung der Abschaltung in Civaux, Chooz und Penly 1 kommt also sehr ungelegen. EDF schiebt auf …

Ganz offensichtlich überprüft EDF seine Anlagen schlecht und nicht oft genug. Folge: Frankreich, das nukleare Land par excellence, befindet sich mitten im Winter in einer angespannten Versorgungssituation.

Diese Versorgung wird nun auch noch durch das gefährdet, was EDF als schlichte „Abweichung“ qualifiziert, denn dieser signifikante Sachverhalt wurde auf der niedrigsten INES-Stufe eingestuft.