Rede von Karl Hans Bläsius anlässlich der Mahnwache zum Fukushima Jahrestag 2022 in Trier

Von | 14.03.2022

Atomkriegsrisiko in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine

Karl Hans Bläsius, 11.3.2022

Kernkraftwerke sind auch eine Grundlage für die Entwicklung von Atomwaffen, die unsere Existenz auf dieser Erde bedrohen. Auf das Atomkriegsrisiko in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg möchte ich jetzt eingehen.

Die Auswirkungen eines Atomkriegs sind für alle Seiten so gravierend, dass auch in Krisen- und Kriegszeiten eine große Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen bestehen wird. Das gilt auch jetzt, es ist aber äußerst fraglich, ob das in der aktuellen Situation reicht.

Die Strategiepapiere Russlands sehen den Einsatz von Nuklearwaffen dann vor, wenn die Existenz der Russischen Föderation auf dem Spiel steht. Dabei ist es irrelevant, ob dieser Zustand militärisch oder wirtschaftlich herbeigeführt wird. Wenn Sanktionen gegen eine Atommacht so schwerwiegend sind, dass eine existenzielle Notlage entsteht, könnte dies das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen erhöhen. Ähnliches gilt für schwerwiegende Cyberangriffe auf ein Land. Die Frage ist, wann ist eine solche Grenze erreicht?

Fehlalarme in Frühwarnsystemen für nukleare Bedrohungen könnten zu einem Atomkrieg aus Versehen führen.1 In Krisen- oder Kriegszeiten kann es in Zusammenhang mit Alarmmeldungen sehr leicht zu Fehlkalkulationen und fatalen Entscheidungen kommen. Deshalb ist aktuelle Situation brandgefährlich. Ob es zu einem verheerenden Atomkrieg kommt, kann auch von Zufällen abhängen, also wann und wie ein Fehlalarm entsteht.

Wenn es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Nato und Russland kommt, wird daraus sehr schnell ein Nuklearkrieg. Ein solcher Nuklearkrieg wird dann nicht mit Hiroshima vergleichbar sein. Es werden eher viele Atomwaffen zum Einsatz kommen mit der Gefahr eines nuklearen Winters und dann geht es um das Überleben der gesamten Menschheit. Putin ist in der Lage auf einen Schlag die gesamte Menschheit zu vernichten, mit keinen Maßnahmen kann der Westen das verhindern, schon gar nicht damit, Putin immer weiter in die Enge, in eine ausweglose Situation zu treiben. Wenn es in einer solchen Situation zu einem Fehlalarm mit einer nuklearen Angriffsmeldung kommt, kann das ganz besonders gefährlich werden, für die gesamte Menschheit.

Deshalb gilt es jetzt weitere Eskalationen und militärische Konflikte zwischen Atommächten mit allen Mitteln zu verhindern. Es darf auf keinen Fall zu militärischen Konflikten zwischen der Nato und Russland kommen. Auch eine weitere Erhöhung des Drucks (z.B. Sanktionen, Abbruch von Wirtschaftsbeziehungen) gegen Russland kann die Grenze einer existenziellen Notlage für Russland überschreiten. Bezogen auf Lieferungen von Öl und Gas aus Russland, geht es nicht nur darum, ob wir uns nächsten Winter wärmer anziehen müssen, es geht auch darum, ob wir das Risiko eines verheerenden Atomkriegs weiter erhöhen wollen.

Derzeit darf es nicht mehr darum gehen, wer im Recht ist. Stattdessen muss versucht werden Kompromisse zu finden.

Bereits vor der jetzigen Krise war die Sicherheitslage in Europa sehr schlecht, dazu ein Zitat von 2020 von 2 Experten der Sicherheitspolitik, Prof. Staack von der Universität der Bundeswehr Hamburg, und Prof. Hauser von der Landesverteidigungsakademie in Wien:2

„Die Beziehungen zwischen Russland und den westlichen Staaten sind gegenwärtig so schlecht wie seit den frühen 1980er Jahren nicht mehr – der Zeit vor dem Amtsantritt Michail Gorbatschows in der damaligen Sowjetunion (1985). Sicherheitspolitisch fällt die Analyse noch kritischer aus. Der damalige Kalte Krieg bewegte sich in relativ geordneten Bahnen und beide Seiten bemühten sich insbesondere, Risiken durch versehentliche militärische Zusammenstöße zu vermeiden. An solchen eingespielten Mechanismen und Selbstkontrollen fehlt es derzeit und das im OSZE-Rahmen aufgebaute Netzwerk von Vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und Krisenprävention wird nicht geachtet und genutzt. Deshalb ist eine militärische Eskalation aus Versehen wahrscheinlicher geworden als sie das in den 1980er Jahren war. Dazu tragen auch neue Waffensysteme mit verkürzten Vorwarnzeiten bei.“

Ein dringender Appell zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der Nato und Russland und zur Deeskalation der militärischen Risiken wurde unter anderem von 16 früheren Außen- und Verteidigungsministern, 27 ehemaligen Generälen und Admirälen, 24 Botschaftern und 55 Experten aus Universitäten und Think Tanks unterzeichnet und am 6. Dezember 2020 veröffentlicht.3

Das waren 2020 dringende Mahnungen das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland zu verbessern.

Bezogen auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Nato-Staaten und Russland geht es nicht nur um politische und militärische Aspekte, auch andere Beziehungen sind wichtig, dazu gehören, wirtschaftliche, wissenschaftliche, sportliche, kulturelle und auch private Beziehungen. Auch Städtepartnerschaften spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Ist es wirklich notwendig und sinnvoll all dies, was seit Jahren und Jahrzehnten aufgebaut wurde, jetzt zu zerstören? Es ist sinnvoll, Künstler und Sportler aus Russland von allem auszuschließen, Städtepartnerschaften zu beenden, wissenschaftliche Kontakte zu verbieten?

Die Menschen auf beiden Seiten, die Grundlage dieser Kontakte und Beziehungen waren, haben den jetzigen Krieg nicht verursacht und nicht zu verantworten.

In jeder Krise, auch im privaten Umfeld, kann es zur Katastrophe kommen, wenn jeder Beteiligte und auch noch das gesamte Umfeld den Emotionen freien Lauf lässt und so eine Situation immer weiter eskaliert.

Auch wenn es jetzt zu einem Waffenstillstand und weiteren Vereinbarungen kommt, bleiben die Risiken eines Atomkriegs aus Versehen bestehen. Bezogen auf sicherheitspolitische Aspekte werden wir dann immer noch weit zurückgeworfen sein im Vergleich zur oben beschriebenen kritischen Situation von 2020.

Je mehr jetzt an Beziehungen und Kontakten zerstört wird, je schwieriger wird es hinterher dies wieder aufzubauen und je höher bleibt das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen auch nach Beendigung des aktuellen Krieges.

Auch wenn dieser Krieg und die Krise beendet wird, gilt für die Zukunft: Wenn es zu Fehlern in Frühwarnsystemen für nukleare Bedrohungen kommt, kann es von Kleinigkeiten abhängen, ob daraus ein verheerender Nuklearkrieg wird oder nicht. Wesentliche Rolle spielt hierbei eine Erwartungshaltung, was traut man dem Gegner zu. Je schlechter die Beziehungen sind, je weniger zwischenmenschliche Beziehungen es zwischen den Atommächten gibt, desto höher ist das Risiko von Fehleinschätzungen und fatalen Entscheidungen im Falle von Alarmmeldungen.

Vielen Dank

1 Siehe www.atomkrieg-aus-versehen.de

2 Michael Staack, Günther Hauser (Hrsg.): Russland und der Westen – Ist cooperative Sicherheit möglich? WIFIS-aktuell, Verlag Barbara Budrich, 2020

3 https://www.europeanleadershipnetwork.org/group-statement/nato-russia-military-risk-reduction-in-europe/


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