Generische Störfälle: Beschädigte Brennelemente

Von | 17.08.2021

Mehrere französische Atomreaktoren betroffen, EDF setzt Untersuchung fort

In einem diskreten Informationsvermerk hat EDF am 13. Juli 2021 bekannt gegeben, dass bei den Brennelementen von drei französischen Atomreaktoren – Chooz, Civaux und Cattenom – Phänomene „atypischer Korrosion“ beobachtet wurden. Der Betreiber, der weder den Umfang noch die Gründe dieser Schäden erläutert, setzt seine Untersuchung fort.

Von atypischer Korrosion der Ummantelung einiger Brennstäbe in einigen Brennelementen spricht der Atomkonzern am 13. Juli 2021. Genauere Angaben zum Umfang, zu den Gründen oder den bereits eingetretenen oder möglichen Folgen des Phänomens werden nicht gemacht.
„Weißliche Spuren” und „weiße Partikel“ wurden zunächst an Brennelementen in Chooz (Grand Est), danach in Civaux (Nouvelle Aquitaine) und schließlich in Cattenom (Grand Est) beobachtet. Sie sollen zurückzuführen sein auf eine Oxidierung der Oberfläche der Brennstäbe, aus denen die Brennelemente bestehen, die stärker ist als zu erwarten gewesen wäre. Und sie sollen Fertigungslose der Brennstäbe betreffen, die Ähnlichkeiten aufweisen. Welche Art von Ähnlichkeiten? Das sagt EDF nicht, untersucht aber weiter. Denn wenn das Phänomen mit den Eigenschaften der Ummantelungen der Brennstäbe und deren Fertigung zusammenhängt, dann könnten auch noch weitere Reaktoren betroffen sein.

Welche Folgen könnten diese Schäden an den Brennelementen und der Ummantelung der Brennstäbe haben? EDF präzisiert in seiner Mitteilung vom 13. Juli, es sei eine Studie zu den Auswirkungen des Phänomens auf die Sicherheit der Reaktoren erstellt worden, verliert aber kein Wort darüber, zu welchen Ergebnisse die Studie gelangt ist. Ende Juni 2021 informierte die Atomaufsichtsbehörde ASN das Medienunternehmen Montel über eine anormale Gaskonzentration in Chooz 2 und Cattenom 3, die zur Entdeckung der Korrosionsprobleme an den Ummantelungen geführt habe. Die Behörde teilte aber nicht mit, wann diese starke Konzentration entdeckt wurde. Man weiß also nicht, seit wann es dieses Problem gibt, aber man weiß, dass diese Veränderungen der Ummantelungen der Brennstäbe zu einem Anstieg des Gehalts seltener radioaktiver Gase im Primärkreislauf führen können.

Was an den Vorfall in Taishan 1 (siehe auch Süddeutsche vom 17.06.2021) erinnert, dem chinesischen EPR-Druckwasser-Reaktor, aus dem im Juni 2021 radioaktive Gase ausgetreten sind, und zwar ebenfalls wegen Schäden an den Brennelementen. Waren es vielleicht dieselben?

Die Brennelemente bestehen aus mehreren Brennstäben, in denen sich Brennstoffpellets befinden. (aus Uran oder einer Uran- und Plutoniummischung). Die Ummantelung dieser Brennstäbe ist die erste Einschlussbarriere der Radioaktivität. Es gibt in Atomreaktoren nur 3 physische Barrieren, die das Austreten der Radioelemente in die Umwelt verhindern: die Ummantelung der Brennstäbe, der Primärkreislauf und die Betonhülle, die den Reaktorkern umgibt. In Chooz brachen die oxidierten Brennstäbe, als man sie zur Analyse aus den Brennelementen herauszog! Die erste Einschlussbarriere ist durch die Oxidation also dermaßen verändert, dass sie bei der Handhabung bricht. Es besteht also das Risiko einer Kontaminierung des Wassers im Primärkreislauf durch radioaktiven Brennstoff und Spaltstoffe, zu denen bestimmte seltene Gase zählen, bei denen es sich um Überreste der nuklearen Reaktion handelt, also um hoch radioaktive Abfälle. Dadurch lässt sich die nukleare Reaktion erheblich schlechter kontrollieren, da die Reaktion nicht mehr nur in den Brennstäben abläuft, sondern sich im ganzen Primärkreislauf ausbreiten kann.

Ferner besteht die Gefahr, dass durch diese Risse in den Ummantelungen sogenannte “migrierende Körper” entstehen, also Stückchen, die sich vom Brennstab abgelöst haben und von der sehr heißen und unter sehr hohem Druck stehenden Strömung des Primärkreislaufs mitgerissen werden. Diese Körper, die sich sehr schnell im Primärkreislauf fortbewegen, können dann andere Brennelemente (vor allem wenn auch diese nicht widerstandsfähig genug sind, weil sie ebenfalls angerostet sind) oder sonstige Bestandteile des Primärkreislaufs beschädigen. Und dieser dient nicht nur der Abkühlung des Brennstoffs und der Ableitung der im Behälter erzeugten Wärmekraft, sondern auch als zweite Einschlussbarriere. Bei einem Leck in diesem durch den Verlust der ersten Barriere (Ummantelung der Brennstäbe) kontaminierten Primärkreislauf bleibt nur eine einzige Barriere zwischen der Radioaktivität und der Außenwelt übrig, nämlich die Betonhülle. Mit anderen Worten: Es bleibt nur eine Mauer, durch die zahlreiche Rohre und Leitungen laufen und die viele Öffnungen besitzt.

Zum Schluss noch einige Anmerkungen zur allgemeinen Situation: Die betroffenen Brennstäbe und -elemente werden in Frankreich von Framatome, einer Tochtergesellschaft von EDF, hergestellt. Die Brennstoffpellets werden von Orano (früher Areva) hergestellt, einem ebenfalls eng mit EDF verflochtenen Unternehmen. Bei den MOX-Pellets sind Produktionsmängel festgestellt worden. Manche hatten einen zu hohen Plutoniumgehalt, bei anderen waren die Stoffe nicht homogen vermischt (sodass sich in den Pellets vereinzelte Plutoniumplättchen befanden). Mängel wurden auch an den Brennstäben festgestellt, die aufgrund ihrer Konzeption zu Phänomenen des Anstiegs des Neutronenflusses am oberen und unteren Ende der Brennstäbe führen, sodass wiederum Zonen entstehen, in denen die nukleare Reaktion stärker, weniger homogen und somit weniger kontrollierbar ist. Diese „Anomalien“ der Pellets und der Brennstäbe waren bereits Ende 2019 Gegenstand einer Meldung eines signifikanten Vorkommnisses für die allgemeine Sicherheit gewesen. Betreiber und Behörden hatten damals angekündigt, es werde mehrere Jahre dauern, die Brennstäbe neu zu konzipieren. Darauf geht EDF allerdings in seiner Mitteilung nicht ein, obwohl die Nummern der Fertigungslose die Gemeinsamkeit dieser Phänomene der „atypischen Korrosion“ zu bilden scheinen.

Wieviele Reaktoren sind mit diesen Brennstäben ausgestattet, die ähnliche Merkmale aufweisen? Wurden in Chooz, Civaux und Cattenom Veränderungen bemerkt? Was passiert genau? Sind Arbeitnehmer gefährdet? Wird mehr Radioaktivität in die Umwelt abgeben? Wie bei den meisten generischen Problemen der Atomindustrie, wie etwa den Brennstoffpellets oder den Herstellungsmängeln der Brennstäbe, dürfte sich die Sache in die Länge ziehen. Informationen werden wir vermutlich jahrelang nur in homöopathischen Dosen erhalten.

Quelle: Sortir du Nucléaire