Solidaritätsaufruf von Ruiko MUTO, Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO / Fukushima, Japan

Von | 12.03.2019

(Dieser Text ist eine gekürzte Version. Den kompletten Text auf Deutsch gibt es hier zum Download als PDF sowie hier das Original auf Japanisch ebenfalls als PDF.)

Hallo alle zusammen!

Heute sind es genau acht Jahre her, dass sich der Super-GAU in Fukushima ereignet hat. Ich danke Euch allen aus meinem tiefsten Herzen heraus dafür, dass Ihr nie aufgegeben habt im Kampf für den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung. Dafür gebührt Euch allen mein Respekt!

Es bedrückt mich auch heute noch zutiefst und ist sehr schmerzhaft, wenn ich mir diese Ereignisse erneut in Erinnerung rufe. Wie widersinnig und ungerecht ist das Leid vieler Menschen, das bis heute weiter anhält – verursacht durch diesen Super-GAU!

Letztes Jahr war ich bei den seit 2012 laufenden Gerichtsverhandlungen gegen das ehemalige Führungspersonal von TEPCO, der Tokyo Electric Power Company, dabei. In 36 Sitzungen wurden sie zu ihrer Verantwortlichkeit für den Super-GAU befragt. Die Wahrheit kristallisiert sich immer weiter heraus:

Das japanische Zentralinstitut für Erdbebenforschung, das von der Regierung finanziert wird, hat belegt, dass der gewaltige 15,7 Meter hohe Tsunami mit höchster Wahrscheinlichkeit den Super-GAU ausgelöst hat.

Das TEPCO-Personal war zum Zeitpunkt der Katastrophe der Meinung, dass sofort konkrete Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Die drei Hauptverantwortlichen von TEPCO hingegen unternahmen nichts, sondern ließen das AKW Fukushima einfach weiterhin in Betrieb! Und das, obwohl sie Schutzmaßnahmen hätten ergreifen können! Eine riesige Anzahl an Zeugenaussagen, Mails, Gerichtsprotokollen sowie weitere juristisch hieb- und stichfesten Beweise belegen dies alles! Dessen ungeachtet beteuerten die Angeklagten immer wieder stereotyp und jegliche Verantwortung zurückweisend: “Ich habe nichts gesehen, ich habe nichts gehört, ich kann mich an nichts mehr erinnern, ich hatte keine Entscheidungskompetenz”!

Ende letzten Jahres forderte der von einem Untersuchungsausschuss bestellte Rechtsanwalt die mögliche Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis für die drei Angeklagten wegen “fahrlässiger Tötung im Dienst”, da ihre eidesstattlichen Erklärungen völlig unglaubwürdig seien.

Am 13. März – also übermorgen – wird TEPCO vor Gericht sein Schlussplädoyer vortragen lassen. Das abschließende Urteil ist wohl im Sommer zu erwarten. Ich erhoffe mir inständig, dass TEPCO dann ohne Wenn und Aber zur Rechenschaft gezogen wird! Ich spreche mich für ein strenges, gerechtes Gerichtsurteil aus, damit sich so ein tragischer Vorfall nie wieder ereignen kann!

In Fukushima herrscht noch immer der Notstand wegen des Super-GAUs. Viele neue Probleme sind entstanden:

Es ist noch immer unklar, wie das radioaktiv verseuchte Wasser sicher entsorgt werden kann. Die Behörden wollen es ins Meer kippen, wir Bürgerinnen und Bürgern fordern, dass es an Land sicher deponiert wird.

Außerdem will der Kernenergie-Ausschuss die 2400 Messstationen abbauen, die zur Überwachung der Radioaktivität in der Präfektur Fukushima nach dem Super-GAU errichtet worden waren. Ein Bürgerausschuss sowie gut ein Drittel der Gemeinden in der Präfektur kämpfen dagegen an.

Radioaktiv verseuchte Erde sollte in der Stadt Nihonmatsu für den Straßenbau als “Recyclingmaterial” vergraben werden. Die Bürger konnten dies zum Glück stoppen. Es gibt auch Planungen, kontaminierte Erde im Autobahn-Ausbau in der Stadt Minamisoma zu verwenden. In der Gemeinde Iitate gibt es Planungen die verseuchte Erde als Schutzdämme für Ackerland aufzuhäufen. Ackerland, das bedeutet in Japan oft Wasser-Reisfelder! Wir befürchten, dass bald in ganz Japan versucht wird, die radioaktive Erde irgendwie zu “verarbeiten”.

Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für mietfreie Ersatz-Wohnungen werden gestrichen, um die Evakuierten zur Rückkehr in die Sperrzone zu bewegen. Die bislang gewährten Unterstützungsmaßnahmen der Fukushima-Präfektur laufen zudem Ende März diesen Jahres aus. Weitere werden danach auch nicht mehr gewährt.

Der Gouverneur der Präfektur Fukushima teilte außerdem mit, dass bis Ende 2019 die Versorgung von Notunterkünften für Evakuierte eingestellt wird. Das betrifft die Menschen, die aus den radioaktiv hoch belasteten Zonen der vier Städte und Gemeinden von Namie, Tomioka, Katsurao und Iitate evakuiert wurden.

Nach dem Super-GAU wurden Kinder und Jugendliche unter 18 auf Schilddrüsenkrebs hin untersucht. Aktuell wurde bereits bei 166 Kindern Schilddrüsenkrebs diagnostiziert, bei weiteren 40 gibt es einen begründeten Verdacht, d.h. insgesamt sind 206 Kinder und Jugendliche betroffen. Die Behörden wollten 11 davon nicht als erkrankt anerkennen, doch durch erheblichen öffentlichen Druck wurden diese glücklicherweise schließlich doch noch anerkannt und operiert.

Die Behörden können oder wollen jedoch keine offizielle Anzahl von erkrankten Kindern nennen. Eine korrekte umfassende Bewertung sei angeblich nicht möglich. Zudem gab es heftige Auseinandersetzungen, ob die Früherkennung von Schilddrüsenkrebs und die medizinische Frühbehandlung weiter schwerpunktmäßig verfolgt werden sollen. Es gab von offizieller Seite sogar Stimmen, die Vorsorge-Untersuchungen zu reduzieren, weil man ja angeblich nur auf Teufel komme raus Krebs finden wolle. Die in den Schulen durchgeführten umfassenden Diagnosen grenzten angeblich an Menschenrechtsverletzungen.

Erst dieses Jahr, 8 Jahre nach dem Super-GAU, berichteten japanische Zeitungen darüber, dass im Mai 2011 bei elfjährigen Mädchen eine Strahlendosis von unglaublich hohen 100 Millisievert festgestellt wurde. Zum Vergleich: Der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats hat letztes Jahr gefordert, die zulässige JAHRES-Belastung mit radioaktiver Strahlung für gebärfähige Frauen sowie für Kinder von 20 Millisievert auf 1 Millisievert abzusenken.

Die Verstrahlung von Kindern wurde damals und wird auch heute noch von der Regierung abgestritten, obwohl sie es entweder besser wussten oder gar keine Informationen dazu hatten. Angesichts der tatsächlichen radioaktiven Verstrahlungen und der Gesundheitsschäden wird immer klarer, wie hier von der Regierung Vertuschung betrieben wurde.

Wenn sich einmal solch ein Super-GAU ereignet, dann sollte man doch glauben, dass sich so etwas nicht wieder ereignen wird. Was TEPCO betrifft, so wünsche ich mir, dass sie sich für den völligen Rückzug aus der Atomkraft-Nutzung entscheiden.

Und was Nihon Genden – die Japan Atomic Power Comapny – angeht, so hoffe ich, dass sie sich schnellstmöglich – trotz ihrer offensichtlichen Widerspenstigkeit – dafür entscheiden, das AKW Tokai 2 endgültig stillzulegen. Sie müssen zu der Erkenntnis kommen: “Es gibt keine sicheren Atomkraftwerke!”

Denke ich an Fukushima, dann ist es für mich, für uns eine Ermutigung und ein Ansporn zu sehen, wie es überall Mitstreiterinnen und Mitstreiter gibt, die bereit sind, die Auseinandersetzungen mit TEPCO und der Japan Atomic Power Company fortzusetzen. Honto ni arigatouu gozaimasu – Allerherzlichsten aufrichtigen Dank an Euch alle. Lasst uns daher gemeinsam unsere Kräfte bündeln für ein Japan, für eine Welt, wo ein jeder Mensch den anderen Menschen als wertvoll erachtet, wo wir uns alle wohlfühlen, ein Japan und eine friedliche Welt ohne Atomwaffen und Atomkraft, wo es weder Krieg noch Diskriminierung gibt!